Sie alle kennen sicher Reader’s Digest, jenes Druckwerk, das weltweit über 130 Millionen Abonnenten bedient und sich durch ein ganz besonderes Ranking Jahr für Jahr beim interessierten Leser der Tages- und Wirtschaftspresse in Erinnerung ruft: die Reader’s Digest Studie zu den vertrauenswürdigsten Berufen in zwölf Ländern dieser Erde.
Und genau mit dieser gut gemeinten Studie beginnt bereits mein Problem. Oder konkreter gesagt: das Problem aller Werber und Werbungstreibenden. Seit Jahrzehnten wird dieses Ranking von den Feuerwehrleuten angeführt, gefolgt von Krankenschwestern und – man staune! – den Piloten. Uns Werber hingegen findet man ganz am Ende der Beliebtheitsskala, knapp vor den Finanzberatern und (das kann ich allerdings nachvollziehen) den Politikern, die das Schlusslicht bilden.
OFT VORAUSGESETZT: DIE GRATIS-LEISTUNG
Vor diesem Hintergrund muss ich davon ausgehen, dass offensichtlich alle Werbetreibenden, alle Marketingleiter, Geschäftsführer und (um im Jargon zu bleiben) CEOs dieser Welt diese Studie gelesen und verinnerlicht haben.
Denn nur so ist es zu erklären, dass unserer Arbeit so wenig Wertschätzung entgegengebracht wird. Nur so ist es zu erklären, dass wir leider allzu häufig aufgefordert werden, uns zu diesem Thema „doch mal ein paar Gedanken zu machen“, diese „paar Gedanken“ idealerweise auch zu illustrieren und nach Möglichkeit auch schon ein paar Textbeispiele mitzuliefern – und alles natürlich sehr zeitnah.
Wenn ich dann in solchen Situationen meinem Gegenüber die auf der Hand liegende Frage stelle, wie diese Arbeit denn honoriert werden wird, blicke ich zuerst in ein schlagartig zur Maske mutiertes Gesicht. Dessen Schockstarre löst sich jedoch nach wenigen Augenblicken wieder auf und weicht dann einem beinahe mitleidigen Lächeln, das mir signalisiert, dass ich gerade als unverschämt eingestuft wurde. Den dann folgenden Satz: „Wir gehen davon aus, dass Sie das erst einmal ohne Berechnung machen, um zu sehen, ob wir zusammenpassen“, fasse ich als Bestätigung meiner Vorahnung auf.
In der Regel nutze ich frecherweise genau diesen Moment des spürbaren Unwohlseins und der Irritation meines Gesprächspartners und schiebe eine (aus meiner Sicht dringend notwendige) Begründung für eine Honorarforderung nach. Diese Begründung soll Verständnis dafür schaffen, dass mit dem gewünschten „illustrierten und betexteten Gedankenmachen“ echte Arbeit verbunden ist! Arbeit von Mitarbeitern, die lange gelernt und studiert haben, die als Berater, Texter oder Grafiker fest angestellt auf der monatlichen Payroll stehen und mit ihrem Gehalt sich und eine Familie ernähren müssen.
ENTSCHEIDER = ZECHPRELLER?
Ich frage dann in solchen Situationen provokant, ob mein potenzieller Neukunde diese selektive Gratis-Vorverkostung auch in einem guten Restaurant praktiziert. Ob er dort die Küche darum bittet, ihm doch kostenlos diverse Kostproben zu servieren, um sich daran orientierend final entscheiden zu können, ob er (durch dieses Procedere bereits gesättigt …), das Restaurant ohne Bezahlung verlassen oder einen angemessenen Obolus entrichten möchte – eventuell verbunden mit der Zusage, weiterhin in diesem Restaurant zu essen.
Und genau dann, wenn diese Frage gestellt ist, sehe ich die Antwort in den Augen desjenigen, der sich jetzt ertappt und unwohl fühlt. Ich sehe, wie er um innere Fassung und äußere Souveränität ringt – um dann oft genug den inhaltlich dümmsten, leider aber zutreffenden Satz loszuwerden: „Wenn Sie es nicht wollen – ok! Es gibt genügend andere Agenturen, die es gerne machen!“
UND JETZT, LIEBE KOLLEGEN, SEID IHR GEFORDERT!
Hört endlich auf, Euch unter Wert zu verkaufen und zeigt dieser Spezies von potenziellen Neukunden die rote Karte! Lasst sie wissen, dass unsere Arbeit – trotz Reader’s Digest Ranking – fundierte, kluge und kreative Arbeit ist. Arbeit, die es wert ist, angemessen bezahlt zu werden. Zeigt auf, welche Arbeit zum Beispiel hinter einem „mal schnell gemachten“ Layout-Clip steckt! Zeigt auf, wieviele Mitarbeiter wie lange zusammen sitzen, um eine fundierte Konzeption zu erarbeiten und welches Ergebnis dann am Ende dieses Prozesses vorliegt. Bietet Alternativen in Form von Konzeptpräsentationen mit Moodboards oder Ideenscribble an – stellt dabei aber sicher, dass diese für alle Pitchteilnehmer gilt, weil eben nur so Äpfel mit Äpfeln verglichen werden können.
Natürlich wollen wir einen Pitch, an dem wir teilnehmen, auch gewinnen. Und natürlich werden wir auch weiterhin alles tun, um den Kunden davon zu überzeugen, dass wir die Richtigen sind für seinen Etat. Dass der eine Pitch-Teilnehmer mehr, der andere weniger dafür tut, diesen Etat zu gewinnen, ist sicher eine unternehmerische Entscheidung. Aber diese sollte vor dem Hintergrund getroffen werden können, dass der Auftraggeber unsere Arbeit wertschätzt und diese Wertschätzung mit einem angemessenen Honorar zum Ausdruck bringt. Wenn dies gelingt, haben wir alle etwas davon. Und wer weiß: Womöglich schaffen wir Werber es dann im Reader‘s Digest Ranking bis zu den Feuerwehrleuten. Wie gut sich die Wertschätzung da ganz oben anfühlt, weiß ich: Schließlich bin ich – welch ein Zufall! – 30 Jahre lang Kommandant der Lindauer Feuerwehr gewesen …