DIE TÄGLICHE QUAL DER DEUTSCHEN TV-WERBUNG

Zugegeben: Wir deutschen Werber waren ja noch nie führend, wenn es um originelle und humorvolle TV-Werbung ging, schon gar nicht bei subtilen, intelligenten Spots. 

Jeder, der einmal den Spot für den ersten NIKE AIR gesehen hat (der damals leichteste Sportschuh der Welt) weiß, was ich damit meine.

Da man sich inzwischen auch bei Streaming-Portalen nicht mehr der Werbung entziehen kann, ist eine Zwangsbeglückung mit einem Potpourri von Spots, die von jeglicher Sinn- und mentaler Nachhaltigkeit befreit sind, unvermeidbar. Natürlich kann man diese taktisch geschickt platzierten Werbepausen für andere, in diesem Moment womöglich dringendere Dinge nutzen. Aber als eingefleischter Werber (altdeutsche Bezeichnung für jemanden, der in der Werbebranche mehrere Jahrzehnte gewirkt und überlebt hat) ist es fast Pflicht, die kreativen Ergüsse der Kollegen auf sich einprasseln und – zugeben unter Schmerzen – wirken zu lassen.

Am meisten erstaunt und berührt mich allerdings die allem Anschein nach nicht mehr wegzudenkende Kombinationsfreudigkeit von ethnischen Gruppen, die deutlich macht, dass Realitätssinn und Authentizität dem Großteil der verantwortlichen CDs, aber auch den Produktverantwortlichen auf Kundenseite abhandengekommen sind.

Nur so ist es zu erklären, dass vollkommen sinnbefreit ein – und jetzt beginnt bereits das Problem der richtigen Bezeichnung – Schwarzer (?) Großvater hinter spielenden weißen (darf man das so sagen?) Kindern auf einer Couch platziert wird, während zeitgleich eine unübersehbar asiatische Frau (Nanny, Freundin oder Mutti ?) mit Einkauftüten bepackt die Szene betritt, auf den hinter einem klinisch sauberen Küchenblock abgestellten, dümmlich grinsenden Siebentagebartträger zugeht, ihn überschwänglich umarmt und just in diesem Moment zur Überraschung aller und als Kontrast zu den blassen, weißen Kindern ein vermutlich indisches Mädchen aus dem Nichts erscheint und so das Bild der perfekten Familie komplettiert.

Ganz ehrlich: Ich habe trotz intensiver und ernsthafter Suche noch nie eine solch internationale, multikulturelle Familie in meinem näheren, aber auch entfernteren Umfeld gesehen. Und das liegt ganz sicher nicht daran, dass ich in einer Kleinstadt lebe, in der so etwas eher selten ist. Auch im Freundes- und Bekanntenkreis meiner Kinder, die in Berlin und München leben, sind mir solch kreative Familienbesetzungen noch nicht begegnet. Wenn, dann nur als – man verzeihe mir diesen vielleicht etwas flapsigen Vergleich – Kundenmelange in einem Supermarkt am Samstagvormittag.

Die Krönung von paradoxer TV-Werbung ist aktuell allerdings für mich der Spot für „Meister Proper“, der mit seiner ungeheuerlichen Kraft jede Küche zum Glänzen bringt – so jedenfalls ist die Kern-Botschaft zu interpretieren. Ich weiß jedoch nicht, ob die Verantwortlichen dieses „Kunstwerks“ beim Casting der Familie unter Drogen oder Einfluss von viel Alkohol standen, denn – und jetzt beginnt es schräg zu werden – die gesamte Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern ist BIPoc (Black, Indigenous, People of Color) und wurde bewusst oder ungewollt als Kontrast zum „weißen Meister Proper“ in der Küche platziert. Als ob der hektisch die Herdplatte putzende Vater eine herannahende Gefahr spüren würde und der Rest der Familie – Papas sinnlose Arbeit argwöhnisch beobachtend – in Richtung Haustüre drängt, um durch diese dann fluchtartig das Haus zu verlassen, ehe Meister Proper die Szene betritt. Unvermeidbar zwingt mich dieser Spot dazu, an das Südstaatenepos „Vom Winde verweht“ zu denken und lässt mich kopfschüttelnd ins Polster meiner Couch sinken. 

Dank dieser „Kunstwerke zeitgemäßer TV-Werbung“ beklatsche ich jeden Spot, der erkennbar unverkrampft mit der Inszenierung von potenziellen Nutzern des zu bewerbenden Produktes umgeht. Selbstverständlich muss ein international einsetzbarer Spot die verschiedensten, national bedingten Befindlichkeiten beachten. Aber gut gemachte Spots mit einer cleveren Story und authentischen, durchaus verschiedenen ethnischen Gruppen angehörenden Darstellern, überzeugen durch ungezwungene und selbstverständlich anmutende Szenen, die auch in anderen Kulturkreisen funktionieren. 

Meinem angeborenen Optimismus geschuldet, glaube ich fest daran, dass gerade in diesem Augenblick eine Agentur an einem solchen Spot arbeitet und es ihr gelingen wird, ihren Kunden von der Richtigkeit dieses Spots zu überzeugen. Ich sage Bescheid, wenn ich ihn gesehen habe….